Das Hotel "Grenzfall" in Berlin ist ein Inklusionsbetrieb, in dem Menschen…
„Wir erfinden mich immer wieder neu“
Auch Menschen, die körperlich erheblich beeinträchtig sind, können am Arbeitsleben teilhaben. Wichtig ist, dass die Rahmenbedingungen an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden. Unser Gastautor Martin Brüning, Mitarbeiter in der Qualitätssicherung in Lobetal, berichtet von seiner persönlichen Erfahrung.
Ich möchte meine eigene Geschichte erzählen. Von 1996 an leitete ich als Psychologe rund 10 Jahre lang die Suchtberatung in Bernau und später auch in Eberswalde. Die Beratungsstelle wurde 2006 geschlossen, da der Landkreis als Leistungsträger sich für ein anderes, kostengünstigeres Angebot entschieden hatte. Zum Gelingen der Arbeit trug die langjährige Kooperation der AWO Bernau und der später zur Stiftung gewordenen Hoffnungstaler Anstalten Lobetal bei.
Ich selbst wurde von Lobetal übernommen. Seitdem bin ich als Mitarbeiter im Qualitätsmanagement tätig. Ich erhielt einen neuen Arbeitsvertrag und später auch eine andere tarifliche Eingruppierung. Dabei erlebe ich die „Stiftung“ als sehr korrekten Arbeitgeber.
„Heute falle ich im Straßenbild auf“
So weit, so gewöhnlich. Ich falle heute im Lobetaler Straßenbild auf. Denn ich nutze einen Elektrorollstuhl oder mein „Arbeitsassistent“ schiebt mich. Ich habe eine recht seltene Erkrankung, in deren Folge ich stark körperlich beeinträchtigt bin. Diese Beeinträchtigung wirkt sich auch auf meine Sprechfähigkeiten aus. Deswegen werde ich weniger in solche Aufgaben eingebunden, als früher, in denen ich viel sprechen müsste. Das betrifft leider auch den Bereich der Supervision, für den ich mich gesondert qualifiziert hatte.
„Wir erfinden mich immer wieder neu“
Meine Erkrankung verläuft chronisch langsam fortschreitend. Das bedeutet, dass mein Arbeitgeber und ich häufiger vor der Frage stehen, welche Dienstleistungen ich nun erbringen kann, die von den in Alltagsgeschäfte stark eingebundenen Kolleginnen und Kollegen genutzt werden können. Das heißt, wir erfinden mich jeweils neu. Es ist meine Erkrankung, die eine solche kreative Problembewältigung erfordert. Ich hoffe, einige der dabei entstehenden Impulse kommen an. Ich bin immer noch die Ausnahme. Die Frage, ob ich mich nicht berenten lassen will, wird mir manchmal gestellt. Als so deutlich behinderter Mensch wirke ich verstörend und stelle die Ordnung von („gesunden“) Helfern und („kranken“) Betroffenen infrage.
Die Kolleginnen und Kollegen erlebe ich dabei als alltäglich praktisch hilfreich. So kann Inklusion gelingen. Wichtig ist es mir geworden, immer wieder ein deutliches Feedback zu bekommen, welche Leistungen mir denn zugetraut werden. Denn Selbstbild und Fremdbild neigen dazu, auseinander zu driften. Beides in Einklang zu bringen, gehört wohl zu meinen Jobs hier.
Gastbeitrag
Martin Brüning
Qualitätsmanagement
Nächster Beitrag: Ehrenamt für alle
Vorheriger Beitrag Prinzessinnen, Putzlappen und Posaunen